Frauenbilder

15. Jun 2019, 19:00 Uhr | St. Jacobi-Kirche, Berlin-Kreuzberg
16. Jun 2019, 20:00 Uhr | St. Canisius, Berlin-Charlottenburg

Sei wie das Veilchen im Moose, so lautet ein Vers aus der Zeit, als man noch Gedichte in Poesie-Alben schrieb. Er konfrontiert seine Adressatinnen mit klar definierten Rollenerwartungen, in deren Zentrum die Begriffe der Sittsamkeit, Bescheidenheit und Reinheit stehen. Diesen Zuschreibungs- und Inszenierungscharakter hat auf beeindruckende Weise die Komponistin Gabriele Hasler in ihrem Rosenstück für Frauenchor kritisch in seine Einzelteile zerlegt. Wir haben es bei den Vorbereitungen für unser neues Konzertprogramm zum Anlass genommen, uns in den Archiven der überlieferten Chormusik von der Renaissance bis zur Gegenwart auf die Suche nach musikalisch inszenierten Frauenbildern zu machen.

Schnell stößt man auf Stücke aus der mächtigen Tradition sakraler Musik, darunter das Stabat Mater der italienischen Komponistin Sulpitia Cesis oder vielstimmige feierliche marianische Hymnen wie Gustav Holsts Ave Maria oder Ola Gjeilos Ave Generosa. Daneben haben wir in großer Zahl auch weltliche Liebeslieder gefunden, die von unverbrüchlich treuer Liebe handeln, so wie Francis Poulencs melancholisches Chanson La belle se sied au pied de la tour, Gustav Holsts schlichtes Lisa Lan oder auch Robert Lucas de Pearsalls Lay a Garland, das in großer polyphoner Struktur das Ende eines tugendhaften Frauenlebens besingt.

Nach und nach kamen aber auch Stücke zu Tage, in denen Frauenfiguren besungen werden, die sich für uns nicht so schnell einordnen lassen. So etwa Francis Poulencs Margoton, die in den Brunnen fällt, als sie Wasser holen will – und deren Schmerzensschreie von drei vorübergehenden jungen Männern gehört werden, die sich zwar hilfsbereit zeigen, aber doch eine Gegenleistung verlangen, die ihnen Margoton am Ende gerade noch verweigern kann. Auf ganz ähnliche Weise handeln auch die Kompositionen Der Falke und Das Mädchen von Johannes Brahms von Zudringlichkeiten und den eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten, die der Protagonistin bleiben, um sich ihnen zu entziehen. Im Falken lautet die ominöse Warnung des Falken, der im Himmel über dem Mädchen seine Kreise zieht, es solle sich nicht zu liebreich und attraktiv zeigen: „Hüll’ den weißen Nacken ein, daß mir nicht das Herze bricht!“ Durch gekonnte Wechsel von Artikulation, Tonarten und Dynamik fängt Brahms nicht nur das gefährliche Spannungsfeld zwischen der stolzen Erhabenheit des Falken und der unschuldigen Unbekümmertheit des Mädchen ein. Dagegen überlegt das Mädchen im gleichnamigen Stück, sein Gesicht mit Wermut zu waschen, um die zu erwartenden Küsse eines alten Mannes bitter schmecken zu lassen; für einen jungen Mann dagegen mit duftendem Rosenwasser. Besonders herausfordernd ist für uns mit Blick auf das inszenierte Frauenbild Rebecca Clarkes Philomela, eine selten aufgeführte, musikalisch beeindruckende Vertonung von Philip Sidneys Gedicht The Nightingale aus dem 16. Jahrhundert. Der Text des Gedichts schließt an die grausame mythische Geschichte der Schwestern Prokne und Philomela aus Ovids Metamorphosen an. Sie erzählt davon, wie Tereus, Proknes Gatte, seine Schwägerin Philomela entführt, sie einsperrt, vergewaltigt und ihr die Zunge herausschneidet, um sie dauerhaft daran zu hindern, seine Schandtat zu verraten. Durch eine List kann Philomela ihre Schwester auf ihren Zustand aufmerksam machen. Sie wird von ihr befreit, und gemeinsam rächen sich die beiden Schwestern an Tereus, indem sie ihm den eigenen Sohn zum Mahl vorsetzen. Als Tereus entsetzt erkennt, welche Speise er gegessen hat, verfolgt er die beiden Frauen mit gezücktem Schwert, bis Zeus dem Mechanismus von Gewalt und Gegengewalt ein Ende macht, indem er die drei in Vögel verwandelt. Von Philomela, der Nachtigall, und ihrem traurigen Gesang handelt Sidneys Gedicht, das allerdings den Schmerz der vergewaltigten Philomela dadurch glaubt geistreich überbieten zukönnen, dass es ihm das schmerzhaft unerfüllte Liebesbegehren des männlichen Sprechers gegenüberstellt. Schlimmer noch als Liebe im (gewaltsamen) Übermaß zu spüren (so glaubt er hier Philomela belehren zu dürfen) sei es doch, sie entbehren zu müssen.

Unsere Bestandsaufnahme wäre am Ende nicht vollständig ohne musikalisch und thematisch leichtfüßigere Stücke, so wie das Gespräch der beiden Frauen in Pierre Passeraus Il est bel et bon, die über den Ehemann der einen befinden, er sei zwar ‘schön und gut’, aber eben auch ein Langweiler im Haushalt, so dass man durchaus das Recht habe, sich anderweitig zu vergnügen. Am Ende des Konzerts steht mit Torbjørn Dyruds Vertonung des Laughing Song aus den Songs of Innocence and Experience von William Blake die idyllische Vision einer heiteren ländlichen Szene, in der die Natur in das reizende Lachen der drei Grazien Mary, Susan und Emily einzustimmen scheint: Ha, ha, hi!

Margoton va t’a l’iau
Francis Poulenc

Der Falke
Johannes Brahms

La belle se sied au pied de la tour
Francis Poulenc

Das Mädchen
Johannes Brahms

Philomela
Rebecca Clarke

Rosenstück
Gabriele Hasler

Stabat Mater
Sulpitia Cesis

Ave Generosa
Ola Gjielo

Ave Maria
Gustav Holst

Lay a garland
Robert Lucas de Pearsall

Il est bel et bon
Pierre Passereau

La Tarara
Dante Andreo

Lisa Lân
Gustav Holst

Laughing Song
Torbjørn Dyrud

Vollständiges Programmheft als PDF